Blüten der Verbundenheit



 Ein Sämlein wächst, und eine Blume öffnet ihren Kelch. Es ist eine Blüte der Freundlichkeit.


Warum dauerte es so lange, immerhin fünf Jahre, bis ich von den standardisierten MBSR-Acht-Wochen-Kursen zum Wagnis kam, einen MBSR-Auffrischungs-Kurs mit Thema "Achtsame Selbstfürsorge" anzubieten?
Man kann natürlich auch andersherum fragen, warum es so rasch geschah.

Die Antwort ist: Aus Verbundenheit. Ich kam mit etwas in Verbindung. Sämlein fielen auf die Erde. Sämlein haben Frucht gebracht.
Mit grosser Ehrfurcht vor Jon Kabat-Zinn, vor MBSR, habe ich inzwischen 15 Acht-Wochen-Kurse, fünf Achtsamkeitswochenenden und mehrere Blockkurse unterrichtet. Ehrfurcht ist, übrigens, gemäss Christopher Germer in „Der achtsame Weg zur Selbstliebe“ eines jener positiven Gefühle, die entstehen können aus Freundlichkeits- und Mitgefühlspraxis (welche im Vipassana-Buddhismus Metta genannt wird)...


Offenbar gab da etwas in mir die Erlaubnis, nun den Sprung zu wagen.
Mit einem Augenzwinkern gesagt: Ein verantwortbares Mass an Ahnungslosigkeit war erreicht. Ich geb's zu, ich hab keine Ausbildung als Lehrer in MSC (Mindful Self-Compassion). Ich habe den scheinbar unveränderlichen MBSR-Acht-Wochen-Kurs-„Knoten“ trotzdem zerschlagen können. Die der achtsamen Selbstfürsorge, nebst der Achtsamkeit, zu Grunde liegende Metta- bzw. Selbstmitgefühls-Praxis kenne ich seit sechs Jahren und bin damit in Eigenregie unterwegs. Vorbereitend für den Kompaktkurs im vergangenen August und September habe ich in den Sommerferien als Weiterbildung zudem ein Sieben-Tage-Metta-Retreat im Meditationszentrum Beatenberg absolviert. Es war nicht die erste diesbezügliche Weiterbildung. - Ich merke, ich komme ins Rechtfertigen...


Verbundenheit ist nicht gleich Achtsamkeit. Verbundenheit kann einen in Schwierigkeiten bringen. Und das ist gut so.
Wissen Sie, Sitzen und Meditieren, das kann „jeder“. Jedes Huhn kann ruhig und reglos auf seiner Stange sitzen. - Diesen Ausspruch eines östlichen Meditationsmeisters finde ich herrlich. Die wahre Herausforderung liegt, wenn schon, eher in der Gehmeditation als im Sitzen. Auch für die erfahrenen Meditierenden. Den Gefühlen und Gedanken von „Es bringt nichts“ beim Auf- und Abgehen ausgesetzt, der Langeweile, dem Zweifel, der Aversion, dem Verlangen, etwas Besonderes zu erleben. Es ist ganz logisch. Beim Gehen fällt es einem schwerer, die Augen zu (ver-)schliessen, als beim Sitzen.

 

Hierzu eine schöne buddhistische Geschichte, die der Beatenberg-Zentrumsleiter Fred von Allmen an besagtem Retreat zum Besten gab.

Ein tibetischer Mönch geht im Tempel auf und ab und rezitiert Mantras, wie es als Praxis des Dharma (d.h. des buddhistischen Weges zur Befreiung vom Leiden) üblich ist. Der Lama kommt auf ihn zu und sagt: "Mantras rezitieren, sehr gut. Aber möchtest du nicht lieber den Dharma praktizieren?" Nach etwas Überlegen entscheidet sich der Mönch, heilige Bücher zu lesen und Dharma-Texte zu rezitieren. Bald kommt der Lama wieder seines Weges und sagt: "Wunderbar, du liest heilige Texte! Aber, möchtest du nicht lieber den Dharma praktizieren?" Der Mönch ist nun etwas durcheinander, entscheidet aber nach einer Weile, zu meditieren. Nach einer Zeit kommt wieder der Lama und sagt zu ihm: "Bravo, du meditierst. Aber wäre es nicht besser, du würdest den Dharma praktizieren?"

Warum nur muss es denn immer so schwierig sein? Der Weg des Erwachens, der Weisheit und des Mitgefühls erschliesst sich nicht primär über die Meditation. Ganz gleich, wie lange man sie auch am Stück praktizieren mag. Das Entscheidende ist die Haltung. Die Art, wie wir beim Denken, beim Sprechen und beim Handeln in Kontakt und präsent sind.


Nichts bin ich

nichts werd’ ich sein

nichts ist mein

nichts wird es sein

 

das ist der Toren

Schreckensbild

der Weisen aber

Schreckensend

(Nagarjuna: Ratnavali 1.26; 1./2. Jahrhundert)


Wer verbunden und auf dem Weg zur Sammlung mit Freundlichkeit und Mitgefühl ist, befindet sich mitnichten auf der sicheren Seite. Die harmlos anmutende Praxis des Metta, wo tagein, tagaus Gute-Wünsche-Sätze wie "Mögen alle Wesen glücklich sein" im Stillen gesagt werden, kann einen in Schwierigkeiten bringen. Und das verstehe ich durchaus als positiv.

Ich hab's erlebt. Für mich war der Metta-Retreat eine ständige Achterbahnfahrt. Ich wurde durchgeschüttelt. Ein anderer Meditationsmeister hat gesagt: "Nach einer Weile des Übens von Metta beginnen die Schlangen unter ihren Steinen hervorzukriechen."

Was sich für mich als vitalisierend und transformativ erwies.

 

Ich fühle mich zur Zeit mehr in Verbundenheit. Blüten öffnen sich und sprengen ihre alten Hülsen. Das ist kein Weg der Kontrolle. Kein Weg des Null-Risikos.

Und das ist ebenfalls gut so.

 

Der nächste MBSR-Refresher "Achtsame Selbstfürsorge" ist für Frühjahr 2019 geplant.

 

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